Das Ziegenarmband


Im Norden von Kenia, Dezember 2011. Mein Fahrer Isaaq gehört zum Stamm der Gabra, einem Nomadenvolk in der Chalbi-Wüste. Die Gabra leben vom Viehhandel. Berühmt sind sie für ihre Kamele, deren Aufzucht anspruchsvoll ist. Isaaq heisst eigentlich Yero-Isaaq. Yero ist das Gabra-Wort für „Zeit“. Es gefällt Isaac nicht, darum lässt er es weg.

Neben dem gewählten Vornamen tragen die Gabra auch jenen des Tages ihrer Geburt. Ein Bub, der Manmudi heisst, wurde an einem Montag geboren, Mädchen mit Namen Makai sind Sonntagskinder. Isaaq heisst Isaaq, weil er an einem Dienstag zur Welt kam. Heute besuchen wir seine Familie in Maikona, einem kleinen Nest in der Wüste.

Es ist schon dunkel, als wir ankommen. Wir halten vor einer kleinen Missionsstation, dem einzigen Haus im Ort mit einem Gästezimmer. Hier ist mein Schlafplatz. Die katholische Kirche geniesst hier Respekt, weil sie zu den Menschen schaut. Die Gesundheitsstation und die einzige Schule weit und breit, werden von der Kirche betrieben. Nairobi ist weit weg, und es gibt dort niemanden mit Einfluss, der von hier stammt. Deshalb fliesst aus der Hauptstadt auch kaum Geld.

Bei den Hütten und Ställen erwarten mich eine Gruppe Männer und dahinter die Frauen und Kinder. Isaaqs Clan. Ich werde zu einem Schemel mitten auf dem staubigen Platz geführt. Zwei von Isaacs Brüdern führen einen jungen Ziegenbock herbei. Sie halten das Tier, das wohl ahnt, was jetzt dann gleich passieren wird, an einer kurzen Leine fest. Dann reden sie in feierlichem Ton auf mich ein und verbeugen sich dazu immer wieder. Ich verstehe kein Wort. Isaac erklärt mir, dass seine Familie mit der Ziege sich dafür bedankt, dass ich ihm Arbeit gebe. Mit seinem Fahrerlohn unterstützt Isaaq den ganzen Clan.

Dann geht alles schnell. Die Brüder durchschneiden dem Tier die Kehle und halten es fest, bis es ganz ausgeblutet ist. Geschickt fertigen sie aus einem Vorderhuf ein Armband, das sie mir sogleich anlegen. «Wenn du es eine Nacht und einen Tag trägst», sagt Isaaq, «bringt es dir Glück für den Rest deines Lebens.»

Zwei Stunden später sitze ich mit Isaaqs Familie an einem langen Tisch. Die Frauen bringen Schüsseln mit Reis und dem in einer scharfen Sauce gekochten Fleisch der Ziege. Das Armband trage ich bis zum Abend des nächsten Tages.

Isaaq hat Recht behalten: Anders als viele Menschen im Norden von Kenia hat mich das Glück im Leben nicht verlassen.


-> Dieser Text erschien im Buch zur Ausstellung „Museum der einzigartigen Dinge“,
Herausgeberin Ursula Pecinska, Blauen BL, 2024.