
Die Strasse ist eine unbefestigte Piste. Es hat lange nicht mehr geregnet. Es ist heiss, über 40 Grad. Giorgi hat vor der Abfahrt Luft aus den Reifen gelassen.
«Weshalb hast du Luft abgelassen, Giorgi?»
«Weil der Druck in den Reifen steigt, wenn es draussen heiss ist, und sie dann leicht platzen können.»
Giorgi lebt in der kleinen Stadt Saragedscho, eine Stunde hinter Tbilisi. Giorgi ist Lehrer. Den Fahrerjob macht er, weil sein Lohn nicht zum Leben reicht. Giorgi hat Familie. Eine Frau, die Schwiegermutter und vier Kinder. Die beiden Grossen sind Zwillinge und gehen zur Schule. Auf die Kleinen passt die Grossmutter auf.
«Bei zuviel Druck in den Reifen liegt nur die Mitte des Laufprofils auf der Strasse. Das verlängert den Bremsweg, wenn ich auf die Klötze muss. Dann wird es gefährlich, verstehst du.»
Einen halben Monatslohn musste Giorgi für den alten Nissan Patrol der NGO hinblättern, die ihn entlassen hatte, weil sie das Land verliess. Das Geld war ihr ausgegangen. Das war ein Jahr zuvor. Aus den Bauruinen der Wasserreservoire, welche die Organisation den Leuten hier und den Geldgebern im Westen versprochen hatte, wächst längst das Gras der Steppe. Trinkwasser ist noch immer Mangelware. Dafür bevölkern Kröten, Agamen, Schlangen und sogar Stachelschweine die Mahnmale in den Sand gesetzter Spendengelder. «Wenn die Menschen verschwinden, übernehmen die Tiere. Vielleicht ist das besser so», kommentiert Georgi trocken.
Am Horizont lösen sich zwei gelbe Busse aus dem Staub. Sie kommen schnell näher.
«Was sind das für Busse, Giorgi? Woher kommen die?»
«Aus Armenien. Linienbusse, billig und unbequem.»
Im Stundentakt fahren die Busse von Hauptstadt zu Hauptstadt, ab Jerewan und Tbilisi. Wenn alles gut geht, kommen sie nach sechs holprigen Stunden an ihren Zielen an.
«Giorgi, pass auf!»
Wenige Meter vor uns schert der hintere der beiden Busse aus und kommt uns auf unserer Spur entgegen. Ich erschrecke, mache noch ein letztes Foto, halte mich fest und schliesse die Augen. Ein ohrenbetäubender Lärm von Hörnern und Hupen geht los, Giorgi reisst das Steuer herum. Der Nissan schwankt bedrohlich. Dann, ein paar ewige Sekunden später, öffne ich die Augen. Wir sind wieder alleine unterwegs. «Gut gemacht, Giorgi.»
-> Momentaufnahme einer beruflichen Reise durch Georgien, Armenien und Aserbaidschan.